Stall-/Trudel-Recovery

Forum - Pilotenausbildung (SPL)
  • In einem Thread über einen Unfalluntersuchungsbericht ist das Thema Trudel-Recovery angeschnitten worden. Das Thema ist ohne Zweifel für die Pilotenausbildung interessant.

    Ich denke, Stall-Übungen, also der bewusst herbei geführte Strömungsabriss und die notwendigen Maßnahmen, um wieder in einen gesunden Flugzustand zu kommen (Recovery), sind unbedingt notwendiger Bestandteil der Pilotenausbildung. Es geht darum, die richtigen Reaktionen in Fleisch und Blut übergehen zu lassen. Ich denke auch, es sollte öfter als einmal im Jahr geübt werden.

    Eine immer richtige Reaktion auf den (beginnenden) Strömungsabriss ist: "Flieger leicht machen", soll heißen Anstellwinkel verkleinern / Last von der Fläche nehmen, also HR nachlassen, gleichzeitig Gas geben, QR/SR neutral (eventuell SR angepasst gegen das Motordrehmoment), bis die Strömung sicher wieder anliegt. Dann ggf. Querlage korrigieren und abfangen. Das kann man m.E. gefahrlos in Sicherheitshöhe üben. Wer es gut kann, fliegt das Manöver mit echtem Stall ohne Abkippen fast ohne Höhenverlust und ohne Richtungsänderung.

    Stall-Recovery  Power Off (soweit im Handbuch nicht anders geregelt):
    - Flieger leicht machen (HR nachlassen)
    - gleich anschließend Gas geben
    - QR neutral, SR neutral oder angepasst gegen das Motordrehmoment
    - Fahrt aufbauen, sanft abfangen

    Stall-Übungen mit bewusst riskiertem Abkippen halte ich für gut, allerdings auch für anspruchsvoll und abenteuerlich. Mit Flugschülern, die das wollen, mache ich das gelegentlich. Ich denke es ist gut, das mal erlebt zu haben, um im Falle eines Falles nicht völlig hypnotisiert zu sein. Sicherheitshöhe mindestens 2500 ft gnd!

    Die einsetzende Drehbewegung (manche Maschinen muss man zum Abkippen geradezu überreden) sofort zu beenden ist ja noch einfach: alle Ruder neutral, vor allem HR nachlassen. Dann hört nach meiner Erfahrung die Drehung sofort auf.

    Das Abfangen aus einer jetzt steil abwärts führenden Flugbahn ist allerdings nicht ganz trivial. Einerseits darf man nicht zu hektisch ziehen, um nicht einen Sekundärstall zu riskieren. Andererseits muss man aber recht beherzt ziehen, denn die Fahrt strebt überraschend schnell Richtung Vne, sogar bei einer C42, und die notwendigen 2 bis 3 g zum Abfangen fühlen sich schon sehr ungewohnt an. Dabei darf natürlich auch nicht mit 4g oder mehr die Struktur überlastet werden (Gefahr oberhalb von Va).

    Stall-Recovery nach Abkippen:
    - Flieger leicht machen (HR nachlassen)
    - QR/SR neutral, Gas auf Leerlauf
    - Querlage korrigieren
    - zügig abfangen, Speed im Auge behalten

    Ins Trudeln kommt ein Flieger ausschließlich mit deutlichem SR-Einsatz. Wer also die Pedale still und neutral hält, wird allenfalls ein Abkippen erleben, aber kein Trudeln.

    Wie man aus dem Trudeln wieder raus kommt, kann sich je nach Maschine unterscheiden. Volles Gegen-SR bis zum Stopp der Drehung, dann SR neutral, ist auf jeden Fall angesagt. Der Umgang mit dem HR hängt von der Konstruktion der Maschine ab. Bei manchen Maschinen bleibt das HR gezogen bis zum Stopp der Drehung, weil nur der untere, nicht vom HR abgeschattete Teil des SR wirkt. Bei den meisten Maschinen dürfte HR neutral bis leicht gedrückt gelten (siehe Handbuch). Trudeln sollte man ohne entsprechende Ausbildung und zugelassene Maschine keinesfalls allein ausprobieren. Es ist schon ziemlich anspruchsvoll, dabei den Überblick zu bewahren und richtig zu handeln.

    Da absichtliches Trudeln mit unseren Vögeln ohnehin tabu ist, dürfte das Folgende kaum relevant sein. Zur Warnung sag ich′s trotzdem: die Trudelbewegung wird nach der zweiten Umdrehung noch mal deutlich schneller und das Ausleiten dauert sehr viel länger. Und es soll Maschinen geben, die nach mehr als 5 Umdrehungen nicht mehr aus dem Trudeln gebracht werden können. Trudelerprobungen in der E-Klasse gehen auch nur bis 5 Umdrehungen, wurde mir gesagt. UL durchlaufen, so viel ich weiß, keine Trudelerprobung. Man weiß also tatsächlich nicht genau, wie sie sich verhalten werden.

    Bei rechtsdrehendem Motor (wie auch Rotax) gibt es im Linkstrudeln mit Power on ein aufbäumendes (schwanzlastiges) Kreiselmoment. Linkstrudeln ist also in dem Fall gefährlicher, weil mit Motorleistung Flachtrudeln eintreten kann. Beim Rechtstrudeln lässt sich dagegen mit Gas das Beenden unterstützen (kopflastiges Moment plus Gegendrehmoment). Von daher ist man bei Stallübungen mit Abkippen rechts herum eher auf der sicheren Seite.

    In der Hoffnung einige mögen es interessant und hilfreich finden

    Techbär

  • Vielen Dank für diesen sehr wertvollen Beitrag...Auch wenn ich hoffe und alles darauf setze solche Situation nicht erleben zu müssen. Allerdings eine Trainigsstunde mit einem FI ist sicher mehr als überlegenswert.

  • Techbär schrieb:
    - Flieger leicht machen (HR nachlassen)
    - gleich anschließend Gas geben
    Hier dazwischen würde ich gerne noch einfügen:  "-wenn dann der Flieger wieder ausreichend Fahrt aufgenommen hat"

    Zu frühes Gasgeben könnte sich negativ auswirken.

    Ansonsten stimmt alles. Vor allem das Verhalten nach mehreren Trudelumdrehungen nach links mit Gas (Rotax) könnte sehr gefährlich werden. Diese Situation hatte ich mal. Testbeginn auf 11000 ft., Schwerpunkt wurde mit Blei ganz nach rückwärts gelegt, Linkstrudeln mit Gas. Fast unmittelbar geht dann das Abkippen in Flachtrudeln über. Kenne wirklich alle Tricks, aber es gab keine Chance, dieses zu beenden. Der Drehradius war so eng, dass das innere Querruder nach oben schlug (Strömung dort von rückwärts!). Bis ich den Antitrudelschirm auslöste, war ich schon weniger als 1500 ft über den Bäumen.

    Dies beschreibe ich deshalb, weil selbst Profis in dieser Situation machtlos sind. Klar, dass man im normalen Flugbetrieb dieses Risiko, noch dazu mit der hintersten Schwerpunktlage, gar nicht erst hat.

  • Das mit dem stall haben die Motorflieger auf eine einfache Formel gebracht!   Pitch-Power-Bank  Kann man sich gut einprägen!

    Ob das Üben von Trudeln wichtig ist, kann jeder für sich entscheiden. Wenn alles andere gut klappt ist es aber ein interessantes Erlebnis. Wer gelernt hat den stall zu vermeiden, der wird auch nicht trudeln.

  • ulrichx schrieb:
    Ob das Üben von Trudeln wichtig ist, kann jeder für sich entscheiden. Wenn alles andere gut klappt ist es aber ein interessantes Erlebnis. Wer gelernt hat den stall zu vermeiden, der wird auch nicht trudeln.
    Eine Vermeidungsstrategie ist zweite Wahl. Das spontane, richtige Reagieren beim Abkippen geübt zu haben, so dass es "in Fleisch und Blut" übergeht, ist die erste Wahl. Dabei muss man nicht erst mehrere Trudelumdrehungen abwarten, 

  • Techbär schrieb:
    Stall-Übungen mit bewusst riskiertem Abkippen halte ich für gut, allerdings auch für anspruchsvoll und abenteuerlich. Mit Flugschülern, die das wollen, mache ich das gelegentlich.
    Und was machst Du, wenn die Angst davor haben? Und ja, ich gebe es zu, beim ersten Durchlauf hatte ich da auch Bammel. Der Grund war aber weniger mein Magen als viel mehr die Frage: "Hält der Vogel das aus? Im Notfall bringt der REttungsschirm auch nichts, wenn die Struktur versagt."

    Was evtl. auch noch interessant wäre, müßte man aber in einer richtigen Kunstflugmaschine trainieren: Komme ich im Trudeln usw. überhaupt noch an irgendeinen Griff gezielt dran? Im UL wäre das der Griff der Rettung. Aus der Gleitschirmzeit weiß ich noch, daß dort wirklich geübt wurde, ob man bei über 5g (manchmal auch weit über 5g, je nach Fitness des Piloten, also kurz vorm Blackout) überhaupt noch genug Kraft hat, um mit der Hand zum Rettergriff zu kommen und den Griff auch zu packen.

    War schon etwas erschreckend, wenn einem dann irgendwann die Kraft für die letzten wenigen cm bis zum Griff fehlen.

  • Techbär schrieb:
    Der Umgang mit dem HR hängt von der Konstruktion der Maschine ab. Bei manchen Maschinen bleibt das HR gezogen bis zum Stopp der Drehung, weil nur der untere, nicht vom HR abgeschattete Teil des SR wirkt.

    Nicht nur das. Durch das Nicken nach unten rückt die Massenverteilung näher an die Rotationsachse und es passiert wg. Drehimpulserhaltung das gleiche wie beim Eiskunstläufer, der seine Arme bei der Pirouette zusammenzieht: die Gierbewegung beschleunigt. Dazu kommt noch ein gyroskopisches Moment, das umso stärker wirkt, je schneller das Flugzeug giert und rollt. Daher kommt die Empfehlung, die Gierbewegung erst durch Gegenseitenruder zu verlangsamen oder falls möglich zu stoppen und dann erst nachzudrücken, um den Strömungsabriss zu beenden.


    Techbär schrieb:
    Bei rechtsdrehendem Motor (wie auch Rotax) gibt es im Linkstrudeln mit Power on ein aufbäumendes (schwanzlastiges) Kreiselmoment. Linkstrudeln ist also in dem Fall gefährlicher, weil mit Motorleistung Flachtrudeln eintreten kann.

    Ergänzend dazu: die übliche Empfehlung "Gas raus" beim Trudeln, was bei Rechtstrudeln eher kontraproduktiv wäre, kommt wohl daher, dass unbeabsichtigtes Linkstrudeln bei rechtsdrehenden Propellern wahrscheinlicher ist, weil P-Faktor und Propellerabwind das Flugzeug nach links abkippen lassen, wenn die Ruder (halbwegs) neutral sind. Die zusätzliche Vorgabe "bei Linkstrudeln Gas raus, bei Rechtstrudeln Gas rein" könnte den Pilot verwirren.
    Natürlich macht es auch daher Sinn, dass die Spritversorgung und Schmierung des Motors je nach Motordesign und Trudeleigenschaften schnell an ihre Grenzen kommen kann. Alleine deshalb schon sollte man das Trudeln mit ULs nicht auf die leichte Schulter nehmen.

    Der wichtigste Punkt ist, die Trudelrichtung zu erkennen, um korrekt Gegenseitenruder einsetzen zu können. Beim absichtlich eingeleiteten Trudeln ist das trivial, es sei denn man kommt versehentlich ins Rückentrudeln. Dazu gab es auch schon einen tödlichen Unfall: absichtlich eingeleitetes Trudeln, dann durch Steuerfehler unbemerkter Übergang ins Rückentrudeln. Der Pilot hat erwartet, das Trudeln durch entgegengesetztes SR wie beim Einleiten ausleiten zu können, durch das Rückentrudeln war das aber genau falsch rum.
    Intuitiv schaut man immer Richtung Horizont und liest aus dessen Bewegung die Gierrichtung ab. Beim Rückentrudeln bedeutet das aber, dass man über die Trudelachse hinaus schaut und damit in die entgegengesetzte Richtung der Trudelbewegung. Um die korrekte Richtung zu erkennen, muss man daher immer genau entlang der Flugzeuglängsachse schauen. Dahin, wo der Boden verschwindet, muss man treten.

  • JaRa schrieb:
    durch Steuerfehler unbemerkter Übergang ins Rückentrudeln. Der Pilot hat erwartet, das Trudeln durch entgegengesetztes SR wie beim Einleiten ausleiten zu können, durch das Rückentrudeln war das aber genau falsch rum.
    Intuitiv schaut man immer Richtung Horizont und liest aus dessen Bewegung die Gierrichtung ab. Beim Rückentrudeln bedeutet das aber, dass man über die Trudelachse hinaus schaut und damit in die entgegengesetzte Richtung der Trudelbewegung. Um die korrekte Richtung zu erkennen, muss man daher immer genau entlang der Flugzeuglängsachse schauen. Dahin, wo der Boden verschwindet, muss man treten.
    Danke, sehr gut beschrieben!! Ist alles andere, als einfach, in dieser Situation den richtigen Seitenruderausschlag zu definieren.
  • Das blöde an der UL-Fliegerei ist, dass es uns verboten ist, unsere Maschinen wirklich zu beherrschen. Wir sind die ganze Zeit krampfhaft damit beschäftigt, alle Achsen möglichst auf Horizontlevel zu halten.

    Kaum einer von uns weiß, wie es sich anfühlt, wenn der Globus plötzlich über, statt unter uns ist. Es gibt kein Standartrezept, was alles heilt. Wenn uns dann noch die Psyche einen Strich durch die Rechnung macht, dann war es das.

    Persönlich glaube ich, dass wenn man bestimmte Situationen bewusst durchlebt und man das Vertrauen hat, "ich kann das", dann wird es einen auch nicht so sehr aus der Ruhe bringen.

    -Überraschung

    -Schockstarre

    -Orientierungsverlust

    -Panik

    Pro Umdrehung geht es dann 60 bis 90 Meter abwärts.

    Einen positiven Aspeckt hat die Sache mit dem Trudeln jedoch. Leider ist diese aus den Anfängen der Fliegerei in Vergessenheit geraten. Trudeln kann das eigene Leben retten!!!

    Und zwar dann, wenn man aus Dusseligkeit über eine geschlossene Wolkendecke geraten und das "Loch vom Dienst" verschwunden ist. Hat man in so einer Situation keine Blindflugmöglichkeit, dann ist stabiles Durchtrudeln der Wolkendecke die einzige Rettung. Alle anderen Versuche führen dazu, dass man in Einzelteilen aus den Wolken regnet. Eine sicherlich nicht angenehme Idee, aber immerhin eine Option, wenn man sich mit dem Arsch an die Wand geflogen hat und gezwungen ist, da hindurch zu müssen.

  • 924driver schrieb:
    Und zwar dann, wenn man aus Dusseligkeit über eine geschlossene Wolkendecke geraten und das "Loch vom Dienst" verschwunden ist. Hat man in so einer Situation keine Blindflugmöglichkeit, dann ist stabiles Durchtrudeln der Wolkendecke die einzige Rettung.

    Das stimmt, es kann, aber man sollte sich vor Augen halten, dass das mit vielen unserer Flugzeuge nicht funktioniert, weil sie statt stationär zu trudeln früher oder später in eine Steilspirale übergehen und wenn das passiert, bevor man unten rausfällt, wird das Ausleiten in Blindflug kaum funktionieren. Vielleicht wäre in so einer Situation ein Slip durch die Wolken besser. Oder am besten den Wetterbericht ernst nehmen...

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