Hallo,
Anonymität ist nicht nötig. Mein Name ist Tobias, ich ich bin als Segelflug - und UL-Lehrer in Oerlinghausen beheimatet, und ich beschäftige mich seit einigerZeit mit dem Thema "Stress im Cockpit". Warum ich erst jetzt auf die Idee gekommen bin, dazu eine Internetseite zu erstellen, weiß ich auch nicht:
http://keinepanikimcockpit.de/
Hier habe ich das zusammengetragen, was ich bisher dazu gefunden habe. Ich möchte möglichst viele Piloten für das Thema sensibilisieren; meine "Rezepte" erheben nicht den Anspruch, allgemeingültig und vollständig zu sein. Deshalb wünsche ich mir Eure Rückmeldungen:
Habt ihr schon Stresssituationen erlebt?
Was habt ihr getan, um wieder ruhiger zu werden?
Was hat geholfen?
Eigentlich müsste mal ein Neuropsychologe eine Untersuchung dazu machen, vielleicht im Flugsimulator oder mit einer VR-Brille: Leute gezielt in Stress bringen, um dann Gegenmaßnahmen zu testen.
Anmerkung zur Internetseite an sich: Ich bin kein Profi-Webdesigner. Deshalb habe ich sie bewusst schlicht und knapp gehalten; (Bisher) keine externen Links, nur eigene Bilder oder gemeinfreie.
Hallo Tobias,
herzlichen Dank für dein Thema.
Stress fängt für einige schon beim einsteigen in den Flieger an, z.B. aufgrund wissentlich mangelnder Flugvorbereitung ect..
Darum finde ich das Thema sehr wichtig.
Ich bin ebenfalls Fluglehrer und erlebe jeden Tag Stresssituationen und bin auf die Beiträge gespannt.
Fliegergruß von Pitri
PITRI schrieb:Moin,Ich bin ebenfalls Fluglehrer und erlebe jeden Tag Stresssituationen und bin auf die Beiträge gespannt.
Fliegergruß von Pitri
da ist es ja fast normal denn der Schüler ist meist völlig unerfahren und hat somit auch Stress.
Ich habe auf einer Tecnam gelernt und als ich mir direkt nach Scheinerhalt meine Eurofox gekauft hatte war für mich anfangs jede Landung totaler Stress da ich die Fußspitzenbremsen und das Drehgas einfach nicht gewöhnt war und noch dazu ist sie bei Seitenwind anfälliger.
Heute nach vielen Stunden bringt mich beim fliegen so schnell nichts aus der Ruhe, immer erst überlegen, nochmals überlegen und dann handeln.
Wo ich allerdings erhöhten Blutdruck bekomme ist wenn diverse Kollegen es nicht für nötig halten beim Anfliegen eines Platzes ihre Position zu melden a la D-XXXX 5 Min. vom Platz zur Landung und ich grad gestartet bin oder ebenfalls den Platz anfliege.
Stefan
Also ich vermute jeder kann sich an seinen ersten Alleinflug erinnern. Hier könnte man sicher schon mal ein EKG und andere Stressparameter ermitteln. Beim Alleinflug habe ich wie eine Maschine reagiert, alles wie im Training machen, das hat mir glaube ich ziemlich geholfen den Stresspegel zu regulieren. Daneben kann ich mich noch sehr gut erinnern, als mir in der Ausbildung in der Platzrunde mal der Rotax kurz gestottert hatte, weil ein Käfer den Spritschlauch blockierte, wie man später feststellte....da bin ich mit ordentlich Herzpumpen schnell wieder gelandet und ich war ziemlich uncool, das hatte ich nie trainiert. Dann fiel der Airspeed Messer mal aus, weil der Schlauch abging, das fand ich auch aufregend, ich zwar noch GPS aber ich habe mir im Final mehrmals den Wind geben lassen und bin schneller runter und hab länger ausschweben lassen. Seitdem schaue ich vorm takeoff, ob die Airspeed geht. Und als bei einem Start die Motorleistung nicht voll da war und ich mit Gast vor der Halbbahn wieder abgebrochen habe und sicher zum stehen kam (abfallende Piste), da war ich ziemlich stolz auf mich im Nachhinein, aber am Anfang sucht man den Fehler bei sich. Dieses Manöver habe ich aber vermutlich auch nur so gut hinbekommen, weil ich am gleichen Tag mit dem Muster schon 2h geflogen bin und einfach ziemlich gut trainiert und fit und wach. Da habe ich auch einfach wie eine Maschine reagiert, Drehzahl nicht voll da, Flieger steigt unwillig - Abbruch.
Ich glaube je mehr Situationen man trainiert und meistert, desto weniger Stress im Cockpit - man hat so eher schon einen Lösungsansatz parat und kann sich so mehr auf die Ausführung der Lösung konzentrieren, statt über die Ursache und Folgen zu grübeln.
Klar ist der Stress da, ich finde das aber für mich wichtig, denn (positiver) Stress macht aufmerksamer und ich bin sicher, wenn ich lockerflockig ins Cockpit hüpfen würde, weil ich ja schon 5000h habe, dann geht sicher irgendwas schief. Routine kann auch schaden. Ich bin im Nachhinein froh über die bisherigen Probleme, denn gelöste Probleme ohne Schaden sind ein Erfolg und eine Erfahrungsbereicherung. Und beinahe schiefgegangene Situationen sind ebenfalls learned lessons. Aber ich kann auch verstehen, dass es Piloten gibt, die sich sagen, dass sie nicht mehr fliegen wollen, wenn etwas schief gegangen ist.
Als letztens das 17 jährige Mädchen mit 15h Ausbildung in den USA erfolgreich mit dem Tiefdecker gelandet ist, wo beim Start das Rad abgefallen war meinte ihr Fluglehrer, sie hat genau das gemacht was ich ihr gesagt habe. Aviate, Navigate, Communicate....das ist wirklich eine gute Regel...man hört im Funk wie sie in Panik ist aber dann mehr und mehr die Kontrolle bekommt. Ich glaube wenn sie sofort gelandet wäre, hätte sie es schlechter gemacht. https://m.youtube.com/watch?v=pSdY-qvo9cY
Der ganze Vorgang im live atc
1)Stress den ich mal am Anfang bei starker Thermik und dem Durchsacken hatte, hat sich irgendwie gelegt nachdem ich ein paar mal das richtig heftig erlebt habe. Da ging mir als Beginner schon mal durch den Kopf "warum bin ich jetzt in dieser Schei.. Situation" . Ich habe damals bewusstes durch tiefes Atmen mich ruhiger bekommen und mir innerlich gesagt : du machst jetzt nur genau das was Du gelernt hast und konzentriert Dich nur auf das fliegen. Das hat mir geholfen und andere nervige Gedanken verbannt.
Die Erfahrung war aber Gold wert denn heute stört mich das weniger da korrigiere auch nicht mehr so viel.
2) Motor Stillstand hatte ich auch schon. Seltsam das ich da keinen Stress verspürte da ich so beschäftigt war die gelernte Prozedur durchzuführen, ging alles so schnell, das ich da gar nichts berichten kann. Risiko war mir erst bewusst als ich unten schon stand.
3) Heute richtigen Stress bekomme ich eigentlich nur bei sehr weiten Reisen ( und auch über mehrere Tage) weil man da nicht immer auf der ganzen Strecke optimales Wetter bekommt. Dann muss neben dem Fliegen mit erster Priorität vielleicht ein Alternate Flugplatz schnell gefunden und angeflogen werden, grüne Wiese in grüner Landschaft. Dann ist der Work Load hoch. Zum Glück helfen da heute die Navis. Da bin ich auch mit dem Umgang geübt und es beruhigt mich ungemein wenn ich weiß in wenigen Minuten kann ich unten sein und mit wenigen Klicks liegt der "Direkt to" an und die Platzrunde und Funkfrequenz ist sogar eingeblendet.
Wirklich stressig ist es wenn wirklich IMC droht. Sobald es anfängt das man deutlich vom Kurs abweichen muss. Wolken ausweicht oder runter gedrückt wird.
Da sage ich mir schon " fly the plane first". Da ich immer mit vollem Tank unterwegs bin sage ich mir " ich könnte auch komplett zurückfliegen" . Beruhigt mich auch irgendwie. Außerdem versuche ich mir da Zwischenziele zu setzen. Um den Tunnelblick zu vermeiden. Wo ist der Alternate vor mir und welchen habe ich hinter mir und noch erreichbar. ( FIS Infos hole ich mir meistens schon viel früher)
Da bin ich dann gut beschäftigt lasse ich gar nicht nicht den Stress so aufkommen. Sage mir: " Ich habe solche Situationen schon sicher gemeistert das machst du jetzt genauso"
4) Manchmal sieht das Wetter auch bedrohlicher aus als es ist. ( Dunkle Wolke, lokale Schauer/ Gewitter etc) Da macht sich eine subjektive Stimmung innerlich breit die ich schon rational bekämpfe. Ich sage mir: "Ich habe ausreichend Fern- und Bodensicht. Ich bin in diese Höhe save".
Spricht aber ein Faktum dagegen ( z B Wetterverschlechterung / Front etc soll kommen) entscheid ich auch dem Bauch raus mal nicht zu fliegen.
Dann ärgere ich mich auch nicht wenn andere Flieger den Heimflug geschafft haben und ich noch bleiben darf.
Das subjektive Gefühl hat mir aber auch schon ein paar mal sehr geholfen.
Grüße
QDM
Ich krieg Stress wenn ich etwas nicht kontrollieren kann. Das hab ich schon ganz früh bemerkt. Ob was nicht funktionieren könnte, was ich nicht testen kann? Ob die Turbulenz..? Ob die anderen in der Platzrunde...? Ob der Motor wohl doch nicht dies und jenes hätte...?
Die Feststellung das etwas nicht funktioniert, das der andere in der Platzrunde an einem ungeeigneten Ort ist, etc, ist weit aus weniger stressig.
schrieb:Das waren so einige Streßsituationen:
Habt ihr schon Stresssituationen erlebt?
Die erste davon hatte ich noch in der Flugschule beim ersten Start in Oerle, Piste 22, also eigentlich ganz einfach. Mit etwas Seitenwind und im Lee der Hangars ging es etwas kräftiger Zickzack über die Piste. Ich war heilfroh, als der Vogel endlich in 3m Höhe flog und Fahrt aufnahm. D.h., so richtig Fahrt nahm er eigentlich nicht auf, wir wurden im Steigflug immer langsamer und ich war fest davon überzeugt, ich müsse am Knüppel ziehen, um schneller zu werden.
Als dann der FL irgendwann den Knüppel massiv nach vorne haute, lief es mir gleich zum zweiten Mal, diesmal aber richtig, eiskalt den Rücken runter.
Was ich bei allen Streßsituationen aber festgestellt habe: In der Streßsituation funktioniere ich. Aber nach der Situation, wenn ich zur Ruhe komme, sinke ich total in mich zusammen. Entsprechend habe ich auch heute noch vorm Start mehr Lampenfieber als vor der Landung. Vor der Landung habe ich zutun, auch wenn es nur heißt: "Fly the airplane!" Aber wenn der Vogel dann auf der Piste ausrollt nach der Landung oder vorm Start, wenn ich da die Checkliste durch habe, warte bis der Motor warm ist und entsprechend Zeit habe, da kommen dann die Gedanken.
Gedanken der Art: In welchem Sturm bist Du hier denn eben gelandet? Kommst hier nachher auch wieder weg?
schrieb:Jupp, des öfteren. Trifft bei mir i. A. die Landephase. Mein Schwachpunkt ist meine Zwergen-Blase. Leider pinkel ich äußerst ungern in diese tollen Beutel (wäre der Punkt "Abhilfe" :-)), sprich der Stress mit der Zeit wird nicht weniger. Mittlerweile habe ich aber "Übung" :-).
Habt ihr schon Stresssituationen erlebt?
Bye Thomas
Ich erinnere mich daran, dass es mich in den ersten zwei/drei Jahren immer irgendwie verunsichert hat, wenn Passagiere an Bord waren. Deren pure Anwesenheit veränderte die gefühlte Situation. Ich fühlte mich beobachtet, vielleicht auch in besonderer Weise verpflichtet und war weniger zielsicher im entscheiden und handeln. Das hat sich gelegt.
Stressig und gefährlich kann es auch werden, wenn ein anderer Pilot / FI / Prüfer auf dem rechten Sitz mitfliegt und man nicht gut aufeinander eingespielt ist. Zu viel Gequatsche, unklare Kompetenzverteilung, Anzweifeln von Entscheidungen des PF, nonverbale Kommunikationseffekte unterhalb der bewussten Ebene etc. Professionelles Cockpit Crew Management ist in der Freizeitfliegerei ja eher nicht so systematisch trainiert.
Danke erstmal für Eure bisherigen Beiträge!
Das Thema Stress ist ein weites Feld, und es kann nur gut sein, sich dafür zu sensibilisieren. Interessant finde ich Formulierungen wie "hat sich gelegt" - ich glaube, Stress wird häufig als, wie soll ich sagen, ausserhalb der persönlichen Kontrolle erlebt.
Dabei waren ja schon einige Schilderungen dabei, wie eben atmen und mit sich selber sprechen den galoppierenden Puls wieder einfangen kann - bzw. der beruhigende Fluglehrer am Funk bei der Amerikanerin.
Wichtig wäre wohl noch, zwischen akuten und "halb-akuten" Situationen zu unterscheiden - ich meine solche, wo nur sofortiges Handeln rettet (Seilriss beim Segelflugstart), und solche, wo noch ein paar Minuten bis zum Aufschlag bleiben (Motorausfall in Reiseflughöhe).
Ich bin gespannt, was noch kommt...
Beste Grüße vom Teutoburger Wald
Tobias